Der lange Rautlingen.

Novellette von Paul Bliß.
in: „Illustrierte Welt” 1903, Heft 20, Seite 441,
in: „Lienzer Zeitung” vom 19. und 26.08.1905


Die Musik spielte den Donauwalzer, und die Paare schwebten durch den festlich erleuchteten Saal.

Fast alle Herren waren am Tanz beteiligt, nur der lange Rautlingen lehnte in einer versteckten Nische und sah mit träumenden Augen in das lustigr Gewoge.

Aber ein guter Hausvater und tüchtiger Festordner kann einen träumenden Jüngling nicht so dastehen sehen. Junge Leute sind geladen, damit sie tanzen. Und so schritt Geheimrat Winter zu dem Träumenden hin.

„Nun, junger Freund, weshalb feiern wir denn?”

Der lange Rautlingen errötete und lächelte verlegen, dann sagte er zögernd: „Ich tanze leider gar nicht gut, Herr Geheimrat!”

Aber der Hausherr ließ sich nicht abschrecken. Lachend rief er: „Einbildung, lieber Rautlingen! Sie tanzen nicht schlechter als jeder andere. — Ja, ja, ich habe Sie schon beobachtet, — Wirklich nur Einbildung. — Also schützen Sie jetzt keine Müdigkeit vor, sondern stürzen Sie sich hinein in die Brandung! Da kommt gerade das schöne Fräulein Botti in den Saal. Sie kennen doch die gefeierte Sängerin, nicht wahr? — Na also, dann bitten Sie die Holde sofort um den Walzer! Kommen Sie, ich führe Sie hinüber.”

Kurz entschlossen nahm der alte Herr den jungen Mann beim Arm und steuerte mit ihm zu der schönen Dame hin.

Rautlingen folgte nur ungern; er war über und über rot vor Verlegenheit. Schon sah er die schöne Dame ganz nahe, schon sah er die blitzenden Augen und das edle, feine und so stolze Gesicht. „Ich möchte doch lieber nicht tanzen, Herr Geheimrat,” bat er, leise flehend, „ich tanze wirklich nicht gut.”

Aber der alte Herr ließ ihn nicht mehr los. „Unsinn! Hier wird nicht Drückeberger gespielt, mein Bester! Immer Mut! Wenn man will, kann man alles!”

Sie standen vor der Dame. Es war zu spät. Rautlingen riß sich zusammen.

„Meine Gnädigste,” sagte der Hausherr mit einer galanten Verbeugung, „unser Freund Rautlingen lechzt danach, diesen Walzer mit Ihnen tanzen zu dürfen.”

Die schöne Dame lächelte ein wenig, und ein leicht spöttischer Zug huschte über ihr Gesicht, Dann sagte sie mit reiner Liebenswürdigkeit: &bdquoi;Einer so freundlichen Aufforderung kann man natürlich nicht widerstehen!”

Rautlingen machte seine Verbeugung, sprach kein Wort und führte die Künstlerin zum Tanz.

Der Hausherr aber ging aufatmend von dannen.

„Ja, man hat's nicht leicht!” seufzte er heimlich.

Eben als er den Saal verlassen wollte, fing er noch eine leicht hingeworfene Unterhaltung auf.

Zwei Kavaliere standen abseits und sahen äußerst interessiert auf den tanzenden langen Rautlingen.

„Na, was fällt denn unserem langen Rautlingen ein!” meinte der eine, „wie kann sich denn der gute Hans Taps an die schöne Botti heranmachen!”

Lächelnd erwiderte der andere darauf: „Mir scheint, du bist auf diesen Stoppelhopser eifersüchtig, lieber Junge!”

„Wenn auch das nicht, so finde ich es doch ziemlich dreist von diesem Bauern, daß er es überhaupt wagt, mit der Botti zu tanzen! — Sieh doch nur, wie er dahin stolpert!”

„Mach dir deshalb keine Sorge. mein Junge, die schöne Botti kennt ihre Leute ganz genau. Sie spielt ein bißchen mit dem armen Kerl und läßt ihn dann mit langer Nase abziehen.”

In diesem Augenblick traten noch einige Herren hinzu. Spöttelnd riefen auch sie: „Was sagt ihr dazu? Seht doch nur! Rautlingen und die schöne Botti! Frechheit von dem Kerl — was!”

Als der bestürzte Hausherr dieses hörte, schlich er beschämt von dannen. Da hatte er ja etwas Schönes angerichtet!

Währenddessen tanzte Rautlingen mit der schönen Dame, so gut es eben gehen wollte; anfangs begann er zu rasen und flog nur so im Eilzugstempo mit ihr dahin, dann aber zwang sie ihn, den Sturmschritt aufzugeben, indem sie lächelnd sagte: „Walzer, bester Herr v. Rautlingen, nicht Galopp!” — Und von nun an hielt er ein langsames Walzertempo inne. Aber so viel und so gut die Dame auch ihren Tänzer zu leiten bestrebt war, es haperte doch alle Augenblicke, bald hatte er ein anderes Paar angerannt, bald war er aus dem Tritt, und endlich trat er seiner Dame sogar auf den Fuß.

„Tausendmal Verzeihung, gnädiges Fräulein!” stotterteb er errötend.

„O bitte, bitte!” Mitleidig lächelnd sah sie ihn an. „Sie tanzen wohl nicht oft, wie?”

„Fast nie,” antwortete er schnell.

„Und nun bringen Sie mir das Opfer?”

„Pardon! Das Opfer bringen Sie, mein gnädiges Fräulein! Denn es ist sicher keine Annehmlichkeit, mit mir tanzen zu müssen.”

Erstaunt und heiter sah sie ihn an. „Wenn Sie das so sicher wissen, weshalb tanzen Sie dann überhaupt?”

„Auf Wunsch unseres Wirtes.”Auch er wurde nun heiterer.

„Also brachten Sie doch ein Opfer.”

„O, ich brachte es gern!”

Plötzlich sah sie ihn fest an, so daß er errötend schwieg.

Der Walzer war zu Ende.

Rautlingen geleitete seine Dame an ihren Platz. Er verbeugte sich, sprach noch einmal einige entschuldigende Worte und wollte gehen.

Da b at sie: „Bitte, eine Sekunde noch.” Sie zog aus dem Gürtelstrauß eine Nelke und reichte sie ihm hin. „Ihr Mut soll belohnt werden.”

Fassungslos, wie erstarrt, blickte er sie an.

Sie aber, immer lustiger, rief: „Nun, mein Ritter zögert noch?”

Bebend sagte er: „Sie verhöhnen mich!” Ein finsterer Blick traf sie-

Sie wurde immer ausgelassener: „Nur nicht so düster, bester Herr v. Rautlingen! Hier im Ballsaal führen wir doch keine Tragödien auf! Oder haben Sie wirklich gar keinen Humor?”

„Sagt man von mir, daß ich keinen Humor hätte?” Ein neuer finsterer Blick traf sie.

„O ja, man hält Sie für einen Feind aller Lebenslust.”

„Glauben Sie das auch?”

„Beinahe muß ich es ja glauben, denn Sie scheinen gar keinen Spaß zu verstehen.”

Da nahm er ihr die Blume aus der Hand und sagte: „Ich danke Ihnen.” Dann neigte er den Kopf nieder, nahm ihre Hand, drückte sie fest und küßte sie.

Mit leisem Aufschrei entzog sie ihm die Hand. „Sie tun einem ja weh, wenn Sie galant sein wollen.”

Er lchelte bitter. „So ergeht es mir stets, das ist h eben mein Unglück!” Wie ein Seufzer kam es gepreßt aus seiner Brust hervor.

Dann ging er.

Dann ging er.

Lächelnd sah sie ihm nach. „Hans Taps,” dachte sie, „das ist wirklich die treffendste Bezeichnung für ihn.” — Dann ging sie zu den anderen.

Baron Stetten trat zu ihr. „Nun, meine Gnädigste, Sie haben ja wieder eine neue Eroberung gemacht! Da darf man wohl gratulieren?”

„Noch nicht ganz!” rief sie scherzend und ließ sich nieder.

Sofort umstand ein Schwarm von Verehrern ihren Sessel.

„Sogar den wilden Rautlingen haben Sie gezähmt!”

„Noch nicht!” riwd sie wieder und lachte leise.

„Eine Festung, die bis jetzt für uneinnehmbar gegolten hat.”

„Noch hat sie nicht kapituliert,” kicherte sie.

„Aber sie wird es demnächst tun, nicht wahr?”

„Vielleicht,” — schnell klappte der Fächer hin und her.

Da trat Graf Ewers hinzu, der bisher schweigend zugehört hatte. „Meine Herrschaften, Sie täuschen sich,” sagte er mit dem Lächeln des Weltmannes.

Allgemeiner Widerspruch, nur Fräulein Botti verhielt sich abwartend.

„Ich kenne Rautlingen besser,” versicherte der Graf, „er wird sich nicht einfangen lassen.”

„Oho! Das wäre doch erst abzuwarten!” klang es ihm von verschiedenen Seiten entgegen.

Der Graf zuckte die Schultern. „Das wäre verlorene Liebesmüh,” antwortete er lächelnd. „Wie ich Rautlingen kenne, ist er für ein derartiges Spiel viel zu ernst.”

Nun richtete sich die Künstlerin auf. „Was gilt die Wette?” fragte sie erregt. „In acht Tagen habe ich ihn zu meinen Füßen!”

Einen Augenblick lang schwiegen alle, und alle sahen sie erstaunt und interessiert auf die Sängerin.

Dann erwiderte der Graf, ernster werdend: „Solch eine Wette akzeptiere ich nicht. Aber angenommen, Sie erreichten Ihr Ziel — was dann?”

„Das weiß ich heute noch nicht,” rief die Sängerin lächelnd, „aber es reizt mich, solche Männerherzen zu gewinnen, die als uneinnehmbar gelten!”

„Ein gefährliches Spiel, meine Gnädigste!”

„Ich fürchte keine Gefahr, lieber Graf!”

Wiederum zuckte er die Schultern, schwieg aber.

Andere Gäste traten hinzu, und die Unterhaltung sprang auf ein anderes Gebiet über.

Dann begann ein neuer Tanz, und alles wirbelte durcheinander. Fräulein Botti suchte nach Rautlingen, denn es reizte sie, ihr Vorhaben auch ohne Wette auszuführen, aber sie suchte umsonst; er war nicht mehr da.

*           *           *

Mit heißem Kopf, mit jagenden Pulsen, fiebernd vor Erregung lief Rautlingen durch die mondhelle Herbstnacht dahin.

Weshalb auch mußte er sich verleiten lassen, dies Fest zu besuchen! Er hätte es doch vorher wissen können, daß es für ihn an solch einem Ort kein Vergnügen gab.

Eine komische Figur machte er, das wußte er ganz genau. Und wenn man ihn einlud, so geschah es nicht seiner Person wegen, sondern nur aus Rücksicht auf seinen Namen und seine Familie. Ja, das wußte er alles genau.

Er wußte auch, daß man ihn wegen seiner Unbeholfenheit hänselte. Was konnte er aber dafür, daß die Natur ihn so groß und so ungeschickt, so ernsthaft und so verschlossen gestaltet hatte! Wenn dumme Menschen ihn deswegen heimlich verhöhnten, mochten sie es doch tun. Wenn er sich nur nicht hätte verleiten lassen, dies Fest heute zu besuchen!

Er setzte sich auf eine Bank.

Der matt leuchtende Glanz des Mondes lag auf dem herbstlich bunten Park. Heilige Stille der Nacht rings umher, solche wohltuend beglückende Stille, daß die Stimmungsgewalt uns loslöst von allem Erdenstaub und unsere Seele emporführt in die reinen Gefilde der Schönheit, der Erhabenheit, alles Kleinliche erstirbt, alles Niedrige muß weichen, und in reiner schöner Größe schwelgt die Seele in dem Licht jener wunderkündenden Gefilde, die wir in stumm staunender Ehrfurcht nur ahnen können.

Aber weshalb nur hatte er dies Fest besucht!

Er seufzte bang und schwer.

Ach, er mußte es sich ja eingestehen — sie, die schöne Künstlerin, die bezaubernde Gestalt, sie hatte ihn hingezogen.

Daß er sich mit solchen Gedanken trug! Nie war ja daran zu denken, daß diese gefeierte Diva, diese Dame mit tausend tollen Launen, ihn jemals nur beachtete, ihn, den plumpen, den ungeschickten Bauern, — und dennoch, trotzdem er sich alles das hundert- und tausendmal vorgehalten hatte, dennoch hatte es ihn hingetrieben, sie zu sehen, nur aus der Entfernung sie voll stummer Bewunderung betrachten zu können.

Nie hatte er bisher ein weibliches Wesen gefunden, das seine Seele zu erwecken verstand, gleichgültig, teilnahmslos ist er an allen, und sind alle an ihm vorbeigegangen, schon hatte er sich damit vertraut gemacht, daß er einsam und unverstanden durchs Leben gehen mußte — da auf einmal sah er sie und hörte sie! Begeistert, fassungslos hörte er, wie sie sang — und da war es geschehen. Wie mit einem Zauberschlag war seine Seele erweckt worden. — So lange war er blind und taub durch die Welt gerannt, und nun erst, nun erst sah und hörte er, wie schön, wie unendlich herrlich schön dies Leben war.

Torheit! Torheit! daß er diesen Gedanken auch nur aufkommen ließ!

Aber dennoch, dennoch. — So viel er sich auch äußerlich schalt und verlachte, innen, ganz heimlich und versteckt, saß doch ein kleines Flämmchen von Hoffnungsfreude, das da still flackerte, klein und bescheiden. — Vielleicht — vielleicht wäre dies unendlich große Glück ihm doch noch beschieden.

Was alles hofft nicht so ein armes, armes Menschenherz! — — —

Langsam erhob er sich und ging nach Hause.

*           *           *

Am nächsten Tage geschah etwas Überraschendes. Er bekam ein Briefchen von der Künstlerin. Sie lud ihn zu einer Tasse Tee.

Was bedeutete das

Starr, sprachlos, fassungslos sah er auf das kleine duftige Papier und las es wieder und wieder.

Es mußte ein Irrtum sein!

Er besah die Adresse. Aber nein, es war seine, seine genaue Adresse.

Das verstand er nicht. Was wollte sie denn von ihm? Er zermarterte sein Hirn, quälte sich mit endlosen Fragen ab, umsonst — er fand keine Antwort.

Den ganzen Tag überlegte und grübelte er. Sollte er hingehen oder nicht? Zehnmal sagte er nein, zehnmal ja. Aber als es vier Uhr schlug, machte er Toilette, sorgfältig, sehr sorgfältig, und als es fünf Uhr schlug, ging er doch hin.

Mit pochendem Herzen trat er ein, küßte der schönen Sängerin die Hand und überreichte ihr ein paar langgestielte Rosen.

„Nett, daß Sie gekommen sind,” dankte sie mit graziösem Lächeln. — „Bitte!”

Er versank in einem der tiefen Polsterstühle, die langen Beine streckte er von sich, aber auch die langen Arme waren ihm äußerst hinderlich, so daß er sich doppelt unbeholfen vorkam.

Mit heimlicher Heiterkeit sah sie ihn an. „Was dachten Sie, als mein Brief kam?”

Er wurde rot. „Ich — ich war erstaunt.”

Sie lachte laut auf. „Das hatten Sie nicht erwartet, wie?”

„Nein!”

Sie lachte wieder laut auf.

Dann wagte er die Frage: „Bitte, sagen Sie, weshalb haben Sie mich gerufen?”

„Je nun, ich wollte Sie näher kennen lernen, Sie interessieren mich.”

„Seit wann? Erst seit gestern abend?”

„Bewahre, seit langem schon. Ich habe so viel Sonderbares von Ihnen gehört.”

Über sein Gesicht huschte ein bitteres Lächeln- Mit harter Stimme sagte er_ „Ah — und nun wollen Sie sich diesen Sonderling mal in nächster Nähe ansehen. Nun, da haben Sie ihn! Staunen Sie ihn an, belächeln Sie slle die Ungeschicklichkeiten, mit der die Natur ihn behaftet hat, aber schauen Sie ihn genau an, denn so bald dürften Sie ihn nicht wieder zu sehen bekommen!”

Mit finsterem Blick sah er zu ihr hinüber.

Ganz ruhig antwortete sie: „Lieber Freund, ich wiederhole Ihnen meine Worte von gestern abend: Sie nehmen alles zu tragisch. Wenn man glatt und leicht durchs Leben will, muß man sich den Humor nicht ausgehen lassen.”

Er wußze nichts darauf zu erwidern.

Dann wurde der Tee serviert.

„Nehmen Sie Rum oder Zucker?”

„Bitte, beides.”

Er sah, wie sie mit der schmalen weißen Hand die kleine Glasflasche aufhob und den Rum eingoß, er sah, wie sie mit den schlanken zarten Fingern zwei Stückchen Zucker in den Tee warf. Das Blut begann in ihm zu pochen. O, wer diese feine Hand doch nur einmal so recht herzhaft drücken und so heiß und innig, so liebesinnig küssen könnte! — Und wie wohl es tun müßte, sich von solcher Hand über Stirn und Haar streicheln zu lassen!

Unausgesetzt blickte er auf die Bewegung der weißen Hände.

Als der Diener hinaus war, fragte sie belustigt: „Weshalb sehen Sie mir denn so gespannt zu?”

Einen Augenblick hielt er mit der Anzwort zurück, dann sagte er beherzt: „Ich bewundere Ihre Hände.”

Geschmeichelt lächelte sie, dann hielt sie ihm beide Hände hin. „Bitte, hier können Sie sie in allernächster Nähe bewundern.”

Sprachlos, fast erschrocken, saß er da und starrte sie hilflos an.

„Nun, in der Nähe verlieren sie doch wohl an Reiz, nicht wahr?” rief sie heiter.

Da antwortete er ganz bestürzt: „O nein, gewiß nicht!” — Mehr konnte er nicht herausbringen.

Sie zog die Hände zurück und präsentierte ihm die Schae mit Biskuits.

Man aß und trank.

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Eine wohlige, anheimelnde Stimmung lag über dem traulichen kleinen Raum. Die Lampen hatten große rote Schirme, und so schwamm alles im rosigen Licht.

I(m Kamin knisterten die Holzscheite.

„Nun, wie gefällt es Ihnen bei mir?” fragte sie.

„O, gut, sehr gut,”beteuerte er ehrlich

„Also kommen Sie öfter zu mir. Um fünf Uhr können Sie jeden Tag eine Tasse Tee bei mir trinken, und wenn Sie stets artig sind, dürfen Sie auch meine Hände bewundern.”

Jetzt lächelte er. „Sie sind sehr liebenswürdig.”

„Vorausgesetzt, daß es Ihnen überhaupt Spaß macht, zu mir zu kommen.”

„Aber wie können Sie nur — o, gern komme ich zu Ihnen!”

„Und daß Sie meinetwegen nicht etwa Ihren anderen Verkehr vernachlässigen.”

„Ich habe gar keinen Verkehr.”

„Aber das ist doch wohl nicht möglich!”

„Doch, es ist so. Ich lebe fast immer auf dem Lande, ganz für mich allein.

„Aber das muß doch schrecklich sein!”

Mit stillem Lächeln fragte er: „Kennen Sie das Leben auf dem Lande nicht?”

„Gott sei Dank — nein.”

„Würden Sie es kennen, dann sprächen Sie nicht so.” Und nun begann er ihr mit warmen Worten die Annehmlichkeiten und all die stillen feinen Reize seines Landlebens zu schildern, und je länger er sprach, desto belebter wurde sein Gesicht, desto mehr schwand die Schüchternheit und die Unbeholfenheit von ihm, so daß er als ein ganz anderer erschien.

Ehrlich erstaunt beobachtete sie ihn unausgesetzt. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Sieh nur einer an, wie temperamentvoll er sein kann. Plötzlich merkte er, wie scharf sie ihn beobachtete und da stockte sein Redefluß, da wurde er leicht verlegen, versprach sich, fing an zu stottern und jählings brach er ab. Nun war er wieder der Alte.

Bald darauf erhob er sich, um zu gehen.

Sie hielt ihn nicht. Aber als er ihr eine steife Abschiedsverbeugung machen wollte, reichte sie ihm die Hand hin und lächelte.

„Also, auf Wiedersehen, nicht wahr?”

„Wenn Sie es mir gestatten, komme ich wieder.”L

„Ich bitte darum. Also wann? — Halt! Sie werden doch übermorgen mein Konzert nicht versäumen?”

„Gewiß nicht.”

„Also nach dem Konzert.”

„Da sind Sie aber doch sicher in größerer Gesellschaft.”

„Wenn es Ihnen lieber ist, mit mir allein zu sein — ich bin bereit dazu.”

Jetzt ging es wie ein Freudeleuchten über sein Gesicht. Glückseligkeit wogte ihm in der Brust, alles Glück der Welt schien mit einem Mal auf ihn niederzukommen, seine Augen strahlten.

Und voll Begeisterung antwortete er: „Also gut denn, nach dem Konzert!”

Lächelnd nickte sie. „Erwarten Sie mich an der kleinen Eisentür, die vom Künstlerzimmer direkt auf die Straße führt.”

Sie reichte ihm die Hand, die er jetzt voll heißer Inbrunst küßte. Dann ging er,

Aber als er draußen war, ging er nicht mehr, nein — er lief, er rannte.

Nur fort, fort aus dem Gewühl der wogenden Menschheit! Jetzt allein sein, allein mit sich und seinem großen Glück!

Ja, das Glück, das so heiß ersehnte hohe, einzige Glück war plötzlich zu ihm gekommen!

Noch tobte und raste alles in ihm, noch war alles zu neu. Denn zu plötzlich, zu unverhofft war es ja zu ihm gekommen, das Glück, das heißersehnte Liebesglück.

Sie liebte ihn, die Angebetete, die Göttliche! Sie liebte ihn, den Unbedeutenden, den Ungeschickten!

O Gott! O Gott! Dies neue Glück war ja unaussprechlich groß, so riesengroß, daß man alle Kraft brauchte, um es zu ertragen!

Als er aus der Stadt war, verlangsamte er die Schritte. Hier herrschte schon die Ruhe des Abends. Im Dämmerung gehüllt lag alles, ein mattes Violett schwebte über den Wipfeln, und über den See wogten feine weiße Nebel hin.

Lagsam gin er weiter.

Schon lugten die ersten Sterne hervor, und drüben, zwischen den hohen Bäumen, stand in goldener Pracht der große volle Mond.

Beglückt sah er empor zu dem azurblauen Himmelsdom, eine große feierliche Stimmung kam über ihn, eine stille unendliche Freude. Und in seinen Ohren klang es wie himmlische, hehre Sphärenmusik.

Wie klein und erbärmlich war doch der Mensch. Da lief man nun umher, machte sich und anderen das Leben zur Qual, sorgte sich und härmte sich ab, haderte mit seinem Geschick, war nie und nimmer zufrieden — und es brauchte die Sonne des Glücks nur einen Augenblick zu leuchten, nur einen einzigen, winzigen Lichtstrahl brauchte sie zu senden, und plötzlich war alles Ungemach, alles Klagen, alles Nörgeln wie fortgeblasen, und die Welt erstrahlte im rosigsten Lichte. Alles war jetzt so gut und so schön, wie es nie hätte besser sein können, am liebsten möchte man die ganze Welt umarmen.

Armer, staubgeborener Wicht, was für ein Nichts bist du in all deiner eingebildeten Größe — ein Nichts, ein Sandkorn kaum, denn der erste Atemzug der Allmutter Natur weht dich spielend von dannen — ins Nichts, ins endlose Nichts hinein.

*           *           *

Während der beiden nächsten Tage lief er wie im Traume umher, aber im seligen, glückberauschten Traum.

Endlich war es soweit.

Der Konzertsaal war überfüllt. Das vornehmste Publikum hatte sich eingefunden.

Auf Rautlingen achtete niemand. Ganz spät war er erst gekommen,kurz vor sem Anfang.

Dann das Klingelzeichen. Die Gespräche verstummten. Und dann erschien Fräulein Botti.

Stürmischer Jubel begrüßte sie, den verzogenen Liebling des Publikums.

Ach, wie sie aussah! Wie eine Königin. Und so schön — so einzig schön!

Andachtsvoll, in stummer Bewunderung saß er da und starrte zu ihr hinauf,

Und dann sang sie — bezaubernd, vollendet, alles mit sich hinreißend, unvergleichlich, wie immer.

Mit geschlossenen Augen saß er da und hörte. Jetzt nur nichts sehen, sich durch nichts ablenken lassen — nur hören, hören, in seliger Versunkenheit alles inj sich aufnehmen, alles in sich wiederklingen lassen, zum Trost, zur Labe — als Sonnenstrahl für die sonnenlosen Tage.

So saß er da von Anfang bis zu Ende. Erst der rasende Beifallssturm am Schluß erweckte ihn aus seiner Träumerei. Nun eilte er hinaus an die kleine Eisentür.

Schon fünf Minuten später war sie da.

Nur ein schneller, ein flüchtiger Gruß.

„Einen Wagen — schnell, schnell!”

Sofort holte er einen herbei. und nun fort, fort! Erst aus dem Wagen rief sie dem Kutscher das Ziel der Fahrt zu.

Erst als sie unterwegs waren, atmete sie auf.

„Gott sei Dank! Das war ein schweres Entkommen!”

„Ihre Freunde wollten Sie feiern?”

„Das ist mir nichts Neues mehr.”

„Aber man wird Ihnen zürnen.”

„Mag man es doch! — Übrigens wird man es nicht tun, man kennt mich.”

Wie berauscht saß er da, ihre Nähe, ihr Parfüm, der warme Hauch ihres Atems erstickten ihn fast, kaum wagte er, sich zu rühren.

„Nun, wie war es denn? Hat es Ihnen gefallen?” fragte sie.

„O, es war ein wundervoller Genuß, es war wie eine Offenbarung!”

Sie lachte. „Und trotzdem haben Sie mir noch nicht einmal gedankt! Ich habe heute doch besonders für Sie schön singen wollen.”

Da nahm er wortlos ihre Hand, führte sie an seine Lippen und küßte sie, wieder und immer wieder, und drückte sie so innig und fest, daß sie leise aufschrie.

„Aber, ich bitte Sie! Ich bin doch nicht von Eisen!”

„O, Verzeihung!” — Er gab sie frei.

Der Wagen hielt. Man stieg aus.

„Wohin sind wir denn gefahren?” fragte er, sich erstaunt umsehend.

Lächelnd sagte sie: „Dies vornehme stille Weinrestaurant ist mein Lieblingsaufenthalt. Man kennt mich hier seit Jahren, und so werde ich mit besonderer Sorgfalt bedient.”

Sie traten ein. Der weißhaarige Wirt führte sie sofort in eine lauschige kleine Nische, wo sie Platz nahmen.

„Nun, ist es nicht nett und traulich hier?” fragte sie heiter, indem sie die Speisekarte durchflog..

Er bejahte. „Ich glaubte, wir würden zu Ihnen fahren.”

„Nein, nach dem Konzert muß ich hierher. Das beruhigt mich, zu Hause denke ich zu viel nach. Und ich bin gerade kaput genug.”

Fragend sah er sie an. Wie sonderbar sie ihm in diesem Augenblick erschien! Völlig verändert — so zerstreut, so haltlos, beinahe hilflos! — Aber nur einen Augenblick hielt das an, im nächsten Moment schon hatte sie sich wieder vollständig in der Gewalt.

Heiter rief sie: „Wissen Sie, manchmal sehen Sie mich an, als wollten Sie mir bis in die Seele hinein blicken.”

„Das will ich auch,” entgegnete er ruhig, aber ernst.

Sie rief lachend: „Aber es bleibt eben beim Wollen. Ihr Können reicht dazu nicht aus.”

„Glauben Sie das wirklich?”

„Ich weiß es! Kein Mensch kann das! Kein Mann kann eine Frauenseele enträtseln. Das Letzte, das Allerletzte, das ganz in der Tiefe versteckte, das bleibt ihm ewiges Geheimnis, wenn die Frau es nicht selber preisgeben will.”

Schweigend sah er sie an, er verstand sie nicht ganz, aber er wagte im Augenblick keine andere Frage zu tun.

Der bestellte Wein wurde gebracht, perlender, prickelnder Champagner.

„Prosit!” rief sie, „das wird uns auf bessere Gedanken bringen.”

Die Gläser erklangen. Man trank.

Ausgelassen sagte sie: „Irgendwo habe ich gelesen, daß man wirkliche Lebensfreude nur im Rausch fühlen und genießen kann. Was meinen Sie dazu?”

Er zuckte die Schultern. „Darüber kann ich nicht gut urteilen, ich habe keines von beiden zu oft erlebt, weder den Rausch noch die Freude.”

„Wie? Waren Sie denn nie jung?”

Mit wehmütigem Lächeln antwortete er: „Eigentlich nein, wenigstens so jugendlich toll und tobend wie andere, so war ich nie.”

„Aber das ist ja furchtbar! Dann werden Sie alt und haben die Freuden der Jugend gar nicht kennen gelernt!”

Er nickte nur und schwieg.

„Das muß ja entsetzlich sein! Alt werden und nie jung gewesen zu sein! — Ja, was müssen Sie dann leiden, wenn Sie jetzt die jungen Leute mitten im Genuß sehen, und Sie sich sagen, das alles, das hast du damals versäumt, das ist dir nun verloren gegangen für immer! Da müssen Sie ja furchtbar leiden!”

Still lächelnd antwortete er: „Einstmals ja, einstmals litt ich darunter. Heute nicht mehr. Man kann viel, sehr viel mehr ertragen, als man glaubt.”

Schweigend, ernst, mit stummer Verwunderung sah sie ihn an. Wohl eine minutenlange Pause entstand.

Dann aber rief sie plötzlich lustig: „Sonderbar, so oft ich mit Ihnen zusammen bin, nimmt unser Gespräch stets eine ernste Wendung.”

„Und daran bin sicher ich Hans Taps ganz allein schuld,” lachte er nun.

„In der Tat. Im Kreise meiner anderen Bekannten bin ich stets ausgelassen lustig.”

„Aber Sie zürnen mir nicht,” bat er, „daß ich Ihnen die Freunde heute fern hielt?”

„Eigentlich müßte ich es wohl, aber weil Sie so lieb bitten können, sei Ihnen verziehen.”

Dankbar küßte er ihre Hand.

„Aber jetzt heißt die Parole: Lustg sein!”

„Ich verspreche es Ihnen!”

Wieder klangen die Gläser zusammen.

Und er hielt Wort.

Während der Mahlzeit und nachher gab er sich alle Mühe, ein interessanter Gesellschafter zu sein, und wenn er einmal sah, daß seine gute Laune entschwinden wollte, so griff er schnell zum Glas und trank sich neuen Mut.

Kurz vor Mitternach brachen sie auf.

„Wenn es Ihnen recht ist,” bat sie, „dann gehen wir zu Fuß nach Hause. Es ist ja ganz mild und ein wenig frische Luft wird uns gut tun.”

Natürlich war es ihm recht.

Sie legte ihren Arm in den seinen, und so gingen sie langsam durch die stille Nacht dahin.

Er war glückselig, als er sie so führen durfte. Er bebte vor verhaltener Wonne.

Da fragte sie plötzlich: „Was fehlt Ihnen? Sie zittern ja! Ich merke es ganz deutlich.”

Und da sagte er ganz leise: „Es ist nur das Glück, das so plötzlich zu mir kommt — das macht mich so freudig erbeben.”

Jetzt erschrak sie. Und sie versuchte, ihren Arm zurückzuziehen.

Aber er hielt ihn fest und bat flehentlich: „O lassen Sie uns so zusammengehen! Lassen Sie mir Ihren Arm! Ich bitte Sie darum.”

Da sagte sie nichts und zog auch den Arm nicht zurück. Aber es stieg siedendheiß in ihr auf, sie fühlte, daß sie brennend rot wurde, und sie kam sich in diesem Augenblick so klein, so niedrig vor, so erbärmlich, daß sie vor Scham hätte laut aufschluchzen können.

Stumm gingen sie nebeneinanderher bis zu ihrer Wohnung. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Sie beide allein die einzigen in dieser wunderhellen Mondnacht,

Vor dem Hause gab er ihren Arm frei.

„Ich danke Ihnen,” sagte er mnit leiser, inniger Stimme, „ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Sie haben mir den Glauben an Welt und Menschen, den Glauben an mich selbst wiedergegeben. Sie sind der Sonnenschein in meinem Leben geworden.”

Und sie stand da, fassungslos, hilflos und haltlos. All ihre Laune, all ihr Sarkasmus war fort, fort, wie weggeweht. Etwas Neues war in ihr, etwas Ungekanntes keimte plötzlich auf in ihrer Seele, etwas Gewaltiges, Packendes, wovon sie sonst nie etwas empfunden hatte. Angstbebend und doch voll heimlicher Wonne wagte sie nicht, sich zu rühren. O Gott! O Gott! Der Gedanke war so erhaben groß und schön, das Gefühl so unendlich wonnig und beseligend. Es hatte ein Spiel nur sein sollen, und nun war es Liebe geworden, innige, heiße Liebe!

Hilflos lehnte sie sich an die Wand. Alles wogte auf und nieder vor ihr.

Da streckte er schnell seinen Arm aus, umfing sie und zog sie an sich in heißer, heißer Liebe.

So fanden ihre Lippen sich zum ersten Kuß.

*           *           *

Am anderen Morgen, als er, noch ganz berauscht von seinem neuen jungen Glück, am Fenster stand und in den sonnigen bunten Herbsttag hinaussah, kam Besuch zu ihm.

Der Gutsnachbar Graf Ewers ließ sich melden.

„Mein lieber rautlingen, ich komme in einer etwas delikaten Sache zu Ihnen.”

Sie setzten sich gegenüber.

Gespannt horchte Rautlingen auf.

„Also, lieber Freund, nun hören Sie mich mal recht genau an und mißverstehen Sie mich ja nicht. Ich sah Sie gestern abend mit der schönen Botti abfahren. — Stimmt, nicht wahr?”

Leicht errötend nickte Rautlingen.

„Wo Sie waren und was Sie vorhatten, geht mich ja auch gar nichts an, aber als Ihr ehrlicher Freund und Nachbar halte ich es für meine Pflicht, Sie auf etwas aufmerksam zu machen, Sie zu warnen.”

Atemlos hörte Rautlingen, was der andere sagte.

„Sehen Sie mal, junger Freund, Sie kennen die Frauen noch nicht, wenigstens noch nicht so, daß Sie auf den ersten Blick echt von unecht, Flirt von Liebe unterscheiden können. — Bitte, bitte, lassen Sie mich erst ausreden. — Wenn Ihnen nun die schöne Botti so eine recht niedliche Liebesszene vorspielen will, dann glauben Sie ihr nicht — nichts, kein Wort, denn es ist nur Laune, nur Spiel, weiter nichts!”

Bleich und bebend fragte Rautlingen: „Herr Graf, was — was soll das alles heißen?”

„Das heißt, mein Lieber, daß die Botti neulich Abends bei Winters öffentlich erklärt hat, in acht Tagen würde sie Sie so weit bringen, daß Sie zu ihren Füßen lägen.”

Starr, atemlos, totenbleich stand Rautlingen da und wußte nichts zu erwidern.

Graf Ewers trat zu ihm, berührte seine Schulter und sagte ermunternd: „Also, lieber Rautlingen, nun zeigen Sie mal, daß Sie Humor haben, und lassen Sie die schöne Dame ganz gehörig abfallen.”

Noch immer schwieg der andere, noch immer begriff er das Ungeheuerliche nicht.

Da ward dem Grafen die Situation unbehaglich, Er nahm seinen Hut, und im Abgehen sagte er: „Sie werden mir hoffentlich nicht böse sein, Rautlingen! Ich glaubte eben, Sie warnen zu sollen.”

Nun ermannte er sich und erwiderte ganz ruhig: „Ich danke Ihnen, lieber Graf, ich sehe, daß Sie es nur gut mit mir meinten.”

„Also Kopf hoch, mein Lieber! Und keine Dummheiten gemacht!”

„O nein. Sie dürfen beruhigt sein.”

Sie verabschiedeten sich lächelnd.

Aber als Rautlingen allein war, lächelte er nicht mehr, er tobte und ratste auch nicht, er setzte sich ruhig hin und begann alles mit kaltem Blut, mit klarem Ve3rstand zu überdenken. War das möglich? War das nur möglich?

Also ein Spiel war es nur, ein Spielball ihrer Laune sollte er sein! Zornig ballte er die Hände zu Fäusten.

Und er, der Tor, er blinder eitler Narr, er hatte es für Liebe, hatte es für echt und wahr gehalten! Ach, wie sie ihn auslachen würde!

Er stand auf, ging hin und her, und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Plötzlich aber sah er dort in einer Vase die Blume, die sie ihm neulich Abends geschenkt hatte — und da mit einem Male war es aus mit seiner Beherrschung, da sank er zusammen, drückte den Kopf ins Polster und schluchzte laut auf in wütendem, zornigem Schmerz.

Von der höchsten Hohe des Glücks, die er soeben erklommen hatte, war er jählings hinabgestürzt in den tiefsten Abgrund des Elends. Nun war es aus, nun gab es für ihn keine Hoffnung auf Glück mehr! Das fühlte er nur zu deutlich. Nun nicht mehr! Er hatte allen Glauben verloren, den Glauben an das Glück, den Glauben an die Liebe, den Glauben an das Weib! — Nun war alles aus. Sie hatte alles, alles in ihm getötet.

*           *           *

Abends um fünf Uhr ging er zu ihr.

Er war ganz kalt, ganz ruhig, er wollte doch sehen, wie weit sie das Spiel mit ihm trieb, diese Komödiantin.

Und dann überlegte er, wie er es ihr nun sagen sollte.

Graf Ewers hatte recht. Hier gab es nur eines: mit überlegenem Humor, als Weltmann sich aus der Affäre zu ziehen, Das war die einzige Lösung. Aber nur nichts von dem verraten, was in der Seele tobte, nur nicht das Heiligste preisgeben, nur nicht mit seinem Schmerz sich noch der Lächerlichleit ausliefern! Nein, lachen, mit ruhigem ironischem Lächeln die ganze Sache zu Ende führen!

So trat er ihr gegenüber.

„Nun, wie geht's? Alles gut bekommen?” rief er.

Sie nickte ihm zu, glückselig, mit liebesinnigen Blicken. Er aber stand still an der Tür, rührte sich nicht vom Fleck und sah sie an, mit prüfendem Blick, lächelnd zwar, aber doch abwartend und zum Angriff bereit.

Da ging sie ihm entgegen — mit Blicken, die da baten, flehten, innig, schwärmerisch. Und als er noch immer in gleicher Zurückhaltung blieb, da legte sie beide Arme um seinen Hals und sank an seine Brust.

Er bebte am ganzen Körper, so groß war seine Erregung, aber er raffte den letzten Rest von Kraft zusammen und rief mit ironischem Lächeln: „Bravo, Gnädigste! Bis hierher verlief alles glänzend, weit glänzender sogar, als es dem Programm versprach.”

Sie zuckte zusammen, sie starrte ihn an.

Er aber fuhr kühl lächelnd fort: „Ich habe doch recht, wie? Bis hierher schien die Wette doch spielend gewonnen zu sein, nicht wahr? — Ja, meine Gnädigste, aber doch nur bis hierher. Den letzten Trumpf spiele nun doch ich aus!”

Und langsam löste er ihre Arme von seinem Hals und machte sich frei aus der Umarmung.

Noch immer starrte sie ihn an, leblos, entsetzt, keines Wortes mächtig.

„Ach, Sie glaubten wohl, ich wüßte nichts von jener famosen Wette? Ja, da haben Sie mich eben ein wenig unterschätzt — ich wußte alles.”

Und da sank sie hin, der Länge nach, auf den Diwan und preßte das Gesicht in ein Kissen und schluchzte laut auf.

Einen Augenblick stand er ratlos da. War das nun auch noch Komödie? — Hier kannte er sich nicht mehr aus.

Darum nahm er seinen Hut und wollte gehen, still und ohne Abschied, ehe seine Tat ihm leid ward.

Aber da richtete sie sich auf und schrie mit angstgepreßter Stimme: „Bleib! ich bitte dich, bleib noch! Hör mich wenigstens erst!”

Erstaunt blickte er sie an.

„Bitte, komm hierher,” bat sie weinend.

Langsam trat er einen Schritt näher.

Sie begann unter Tränen: „Ja, es ist wahr, ich habe das frevelnde Wort damals gesprochen, ich war ausgelassen, berauscht von Glück, von meinen Triumphen — es ist wahr, ich habe diese Wette vorgeschlagen.”

Mit düsteren Blicken wandte er sich wieder ab.

Sie aber rief: „Halt, geh noch nicht! erst höre mein Geständnis! Dich wollte ich fangen, und nun habe ich mich selber fangen lassen. Dich wollte ich zu meinen Füßen sehen, und nun liege ich zu deinen Füßen. Als ein Spiel hat es begonnen, und mit Liebe, mit heißer, ehrlicher Liebe endet es. — So, nun weißt du es, nun weißt du alles! Und nun geh, wenn du gehen willst.”

Er ging nicht. Einen Augenblick lang stand er da und sah sie an, denn die Worte schwirrten vor seinen Ohren noch immer, und vor seinen Augen flimmerte alles. — Er wußte nicht ein noch aus.

Da aber richtete sie sich auf, sah ihn an, und bat mit stummen heißen Blicken.

Und da trat er auf sie zu und riß sie an sich. „Mein Weib! Mein liebes, liebes Weib!”

Unter Tränen lächelnd sah sie zu ihm auf. „O du Guter, Lieber, o du dummer Hans Taps — merkst du nun endlich, wie es um mich steht?”

Mit heißen Küssen verschloß er ihr den Mund.

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